Zu Bethlehem geboren
Beide, Joseph und Maria, in unbedingter Tradition zum Tempel, seinen Opfergepflogenheiten und der Einhaltung der Gesetze. Das hätte den kleinen Jesus beinahe das Leben gekostet, und Maria auch, denn das Einhalten der Gesetze hätte dem Joseph geboten, Maria steinigen zu lassen. Für sie die Höchststrafe und für Joseph Gerechtigkeit. So war das damals, wenn man schwanger wurde, dem Joseph verlobt, aber eben noch nicht verheiratet. Joseph war derjenige, der alle in Freiheit setzte, indem er Maria zu sich nahm, den Gesetzen zum Trotz.
Dem Jesus war es einerlei. Er kannte weder Gesetz noch Opferkult. Er kannte Nähe oder Ferne von Geborgenheit und Sättigung. Er bekam beides: zu essen und Zärtlichkeit der Nähe. Er bekam Schutz und ein Zuhause.
Bis er zwölf Jahre alt war, bekam er das, was wir heute Erziehung und Bildung nennen würden: Er kannte die jüdischen Gebete, die Propheten, den Jonas allemal. Er kannte seine Sprache, fremde Sprachen, für die Fremden in seinem Land tugendhaft. Er hatte eine Berufsausbildung, dem Vater folgend, war er Steinmetz. Die Landeshauptstadt Sephoris, keine zehn Kilometer von Nazaret entfernt, mit dem Theater des Dionysos, den Straßen der Römer und den Häusern der Babylonier und Ägypter, bot ihm Arbeit und Brot. Sie war aber auch Anfrage an seinen Glauben. Sein Gott lebte in Jerusalem. Hier in Sephoris kannte man ihn kaum. Es war auch keine entscheidende Frage. Die Römer hatten beschlossen, jeder Nation, die sie überfielen, ihre Religion zu lassen. Das hatte aber weniger mit Achtung als mit politischem Kalkül zu tun. Lässt man den Überfallenen die Hoffnung und den Glauben, ist besser und schneller Frieden zu halten, und sei es ein unterdrückter Frieden, wenigstens ist Ruhe.
Relevant ist, ob wir genährt, gesättigt wurden, gepflegt, Geborgenheit erfuhren und Schutz. Bei genauer Betrachtung spielen auch unsere erlernten Gebete keine wichtige Rolle, jedenfalls wenn man Jesus zu seiner Taufe folgt. Dort hätte eine neue Religion beginnen sollen, zumindest ein neues Verständnis über Gott und wie eben Gott „denkt“. Es ist nachzulesen in unserer Bibel. Nachfolge Jesu könnte so einfach sein, wenn wir endlich begännen, so zu denken und zu handeln, wie es über ihn, Jesus, geschrieben steht. Wie gesagt, lassen Sie alles im Nachhinein Geschriebene einmal weg, dann haben wir einen jungen Mann, der zum Glück die Umstände seiner Geburt überlebt hat. Der einigermaßen eine Ahnung über seine Religion hat, einen Beruf und wohl auch ein Auskommen hat. Dem dann bei seiner Taufe ein Bild durch den Kopf geht, das unser aller Leben verändert hätte, wenn wir es der Religion halber nicht bald wieder vergessen hätten. Der Namen eines jeden Menschen gehöre zu Gott, unabhängig von seiner Nationalität, seinem Glauben, seiner Kultur. Ich verstehe: Niemand muss um seine Zugehörigkeit zu Gott kämpfen. Gott fordert keine Kriege. Zu einfach? Dann nochmals: Gott will keinen Krieg um seines Namens willen. Und es bedarf keiner Leistung, um von ihm geliebt zu werden. Immer noch zu einfach? Gott liebt dich, weil du ein Mensch bist, nicht, weil du etwas geleistet hast.
Und jetzt nochmals für die Allesversteher: Ich habe in meinem Leben gerne und viel geleistet. Aber ich tat es, weil ich bestimmte Talente entdeckte, die ich entfalten wollte und mit jenen gerne Dinge gestaltet habe, weil sie für das Zusammenleben notwendig waren oder einfach Freude bereitet haben. Aber ich habe niemals etwas geleistet, um Gott zu gefallen oder um in den Himmel zu kommen. Denn entweder hat Gott die Größe, mich und einen jeden von uns, und eine jede, so zu lieben wie wir sind, oder er ist nicht die größte mögliche Variante eines Gottes, die denkbar ist. Denn die größte mögliche Variante des Denkens ist die Anerkennung dessen, was ist und dem, der ist, wie er ist, barmherzig zu begegnen. Nochmals: Gott nimmt dich einfach in den Arm und schickt dich nicht durch Prüfungen. Gott liebt barmherzig. Das hätten wir von jenem Steinmetz aus Nazaret lernen können. Ihm nachzufolgen, hätte eine Selbstverständlichkeit sein können. Stattdessen haben wir ihm Altäre gebaut und Gesetze erlassen, wie wir an ihn glauben sollen. Dabei wollte er nur unser Leben, nicht unseren Glauben. Keine Sorge: Auch ich liebe die Altäre. Aber heute weiß ich, dass wir auf ihnen Brot teilen und einander die Füße waschen dürfen. Jesu Altäre waren die bedürftigen Herzen der Menschen.
Autor: Prälat Michael H. F. Brock
gelesen von: Prof. Dr. Janina Loh
Quelle: Weihnachtsgruß 2023
Gemeinschaftsbild von Scarlett Schäfer und Irmgard Stegmann (Kunsttherapeutin), Kreativwerkstatt Rosenharz.