Das BBW als Kompetenzort
„Mit Autismus erwachsen werden“, lautete das Thema, das vier Expertinnen und Experten aus verschiedenen Perspektiven beleuchteten. Immer ging es um die Lebensphase, in der sich auch die 850 jungen Menschen befinden, die am BBW Ravensburg einen Schulabschluss erwerben, eine berufsvorbereitende Maßnahme durchlaufen oder einen Beruf erlernen. Mehr als 150 von ihnen haben eine Diagnose aus dem Autismusspektrum. „Das BBW Ravensburg ist ein Kompetenzort für die Ausbildung von Menschen mit Autismus“, erklärte BBW-Geschäftsführer Christian Braun. Er verwies darauf, dass sich die Kompetenzen des BBW unter anderem im Gütesiegel „Autismusgerechtes Berufsbildungswerk“ und in ständigen Weiterbildungen der Mitarbeitenden zeige.
Lebensphase voller Herausforderungen
Um diese Expertise zu erweitern und weiterzugeben, veranstaltete das BBW diesen Fachtag. Die Bedeutung des gewählten Themas fasste Manfred König, Abteilungsleiter des Fachdienstes Diagnostik & Entwicklung am BBW Ravensburg, zusammen: Die Identitätsentwicklung im Jugendalter sei im Grunde ein Konflikt zwischen eigenen Bedürfnissen und gesellschaftlichen Anforderungen. „Für autistische Menschen ist es besonders schwierig, diese Entwicklungsaufgabe zu bewältigen“, erklärte König. Das junge Erwachsenenalter baue dann auf diese Identitätsentwicklung auf, wobei einerseits das Grundbedürfnis nach Bindung und andererseits die Autonomieentwicklung im Vordergrund stünden. Auch damit seien für autistische Menschen spezielle Herausforderungen verbunden.
Autismus und Genderdisphorie
Spannende Aspekte zur geschlechtlichen Entwicklung förderte Dr. Salvatore Corbisiero, Leiter der Tagesklinik Luzern, zu Tage. Er befasst sich seit vielen Jahren mit Transidentität und erläuterte in seinem Präsenz-Vortrag, inwieweit es einen Zusammenhang von Autismus-Spektrum-Störung und Genderdysphorie gibt, bei der das Geburtsgeschlecht und das empfundene Geschlecht nicht übereinstimmen. „Autisten und Autistinnen scheinen häufiger als die Allgemeinbevölkerung eine geschlechtliche und sexuelle Vielfalt aufzuweisen“, sagte Corbisiero. Die Zusammenhänge müssten noch erforscht werden. Anschaulich gab er einen Überblick über dieses Phänomen und erläuterte, was es bedeutet, die eigene Geschlechtsidentität anders zu erleben als die körperlichen Merkmale. Oft sei dies mit Leidensdruck und Diskriminierung verbunden. Deshalb warb er für Verständnis und Offenheit.
Beziehung, Partnerschaft und Sexualität
Sehr konkret beleuchtete Dr. Christine Preißmann, Ärztin für Allgemeinmedizin und Psychotherapie aus Hessen, in ihrem Online-Vortrag das Thema „Beziehung, Partnerschaft und Sexualität im Autismus-Spektrum“. Sie erläuterte, dass Menschen mit Autismus oft nicht die Möglichkeit haben, einen altersgemäßen psychosexuellen Entwicklungsprozess zu durchleben. Oft gestalte sich schon die Kontaktaufnahme schwierig. Die meisten aber wünschen sich Freundschaften und Liebesbeziehungen, die auch für autistische Menschen „eine sehr beglückende Erfahrung“ sein können. Dr. Preißmann, die selbst von Autismus betroffen ist, erklärte auch, was dabei hilfreich und unterstützend wirken kann.
Therapeutische Möglichkeiten
Am Nachmittag des Fachtages standen therapeutische Möglichkeiten im Mittelpunkt. Barbara Rittmann vom Bundesverband Autismus Deutschland stellte in einem Online-Vortrag Grundlagen und Methoden der Autismustherapie im Erwachsenenalter vor. Ulla Mosthaf, therapeutische Leiterin der Praxis Autismus Südwest in Karlsruhe, widmete sich zum Abschluss des Fachtags in ihrem Präsenz-Vortrag den Rahmenbedingungen einer gelingenden Autismustherapie. Sie berichtete aus praktischen Erfahrungen, was Kinder und Jugendliche brauchen, um eine gute Grundlage für den Übergang ins Erwachsenenalter zu haben.