Sozial digital
Die Digitalisierung erreicht immer mehr Bereiche des gesellschaftlichen Lebens. Der Wandel fordert besonders die Sozialwirtschaft, verlangt Flexibilität und Bereitschaft zur schnellen Veränderung – und das in einer Branche, die vor allem Verlässlichkeit und Kontinuität als ihre Stärken sieht.
Ein Gespräch mit Dr. Markus Nachbaur
Wie die Stiftung Liebenau auf die zahlreichen Herausforderungen der Digitalisierung reagiert, erläutert Dr. Markus Nachbaur im Interview.
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Herr Dr. Nachbaur, wie digital ist die Stiftung Liebenau?
In einem Satz lässt sich das nicht sagen. Zunächst stellt sich ja die Frage, woran bemessen Sie den Digitalisierungsgrad? Am Machbaren? Am Wünschenswerten? Am Branchenüblichen? Dafür haben wir noch keine klaren Richtwerte. Innerhalb der Stiftung Liebenau gibt es zudem große Unterschiede in den einzelnen Geschäftsbereichen, schließlich sind auch die Anforderungen verschieden. Im Bildungsbereich zum Beispiel benötigen Sie allein für die fachliche Arbeit eine andere digitale Ausstattung als im Pflegebereich. Die Verwaltung kennt andere Prozesse als der Servicebereich. Und so weiter.
Von daher können wir momentan nur grob schätzen: Auf einer Skala von 0 wie „überhaupt nicht digitalisiert“ bis 100, „vollständig digitalisiert“ haben wir in Sachen Infrastruktur über alle Bereiche zusammen bereits einen Digitalisierungsgrad von 60 bis 70 Prozent erreicht, bei den administrativen und dokumentarischen Prozessen sind es um die 40 Prozent. Viel Nachholbedarf besteht noch auf den Ebenen der Datenanalyse und bei den digitalen Arbeits- und Austauschplattformen.
Wie digital sollte sie sein?
Die Digitalisierung wird zunehmen, auf jeder der genannten Ebenen. Das betrifft ganz sicher nicht jeden Prozess, aber bei den wesentlichen Geschäftsprozessen –Kommunikation, Personalverwaltung, Abrechnung zum Beispiel – geht es in jedem Fall digital voran. Besonders wichtig ist uns momentan der Bereich Aus-, Fort- und Weiterbildung. In diesem Bereich liegt ein wesentlicher Schlüssel dafür, dass in der Stiftung Liebenau künftig digitaler gedacht und gearbeitet wird.
Allerdings – und darauf möchte ich unbedingt hinweisen – wird im sozialen Bereich niemals die Technik zum Ersatz der persönlichen Begegnung werden. Wir sprechen hier vielmehr von einem Ausbau unterstützender, ergänzender Technologien. Sicher werden sich dadurch Grenzen verschieben. So verändern technische Assistenzsysteme im Wohnbereich sicher die Betreuungsaufgaben und -strukturen. Aber auch hier gilt: Individuelle Bedürfnisse haben Vorrang vor Standardlösungen.
Wie sieht der Weg dorthin aus?
Der Vorstand hat das Thema auf die Agenda gesetzt, Prioritäten definiert und für die Vernetzung der verschiedenen Akteure gesorgt. Die Umsetzung liegt nun auf den Schultern vieler Akteure.
Generell braucht der digitale Wandel Menschen, die ihn motiviert anstoßen und mittragen. Die mit positivem Beispiel und Anwendungslust vorangehen und andere motivieren. Denn mit der Digitialisierung geht ein tiefgreifender Kulturwandel einher. Sind wir als Organisation beweglich genug, unter komplexen Bedingungen flexibel zu handeln? Haben wir den Mut, unerprobte Wege zu gehen, gehen wir Risiken ein? Diese Fragen müssen wir uns stellen und Antworten finden.
Und wir müssen und werden darauf achten, dass wir die Menschen auf diesem Weg mitnehmen, so unterschiedlich sie auch sind. Das geht nur, wenn man behutsam vorgeht, die Entwicklungen weiter beobachtet, ethisch reflektiert und gut diskutiert. Da sind auch die Forscher und Entwickler gefordert: Es reicht nicht, technisch Machbares zu entwickeln, Menschen müssen auch die notwendigen kommunikativen Kompetenzen erwerben, Technik zur Akzeptanz zu bringen.
Was sind die wichtigsten Themen?
Neben dem technologischen und kulturellen Wandel müssen wir die soziale Dimension der Digitalisierung im Blick behalten. Die wesentliche Frage ist, wie Menschen mit Unterstützungsbedarf an der digitalen Entwicklung teilhaben können. Sie schafft neue Räume für hierarchiefreie Kommunikation, kann völlig neue Hilfesysteme bieten. Aber sie kann auch zu sozialer Spaltung führen, wenn Personengruppen von der digitalen Kommunikation ausgeschlossen werden. Gesellschaftliche Teilhabe, wie wir sie mit unserer Arbeit ermöglichen wollen, bedeutet auch digitale Teilhabe. Dazu bedarf es geeigneter technischer Instrumente und pädagogischer Konzepte.
Vor allem aber muss die Gesellschaft sich darüber im Klaren sein, dass momentan noch ganz erhebliche Barrieren zur sozialen Teilhabe bestehen. Der Verband zur Digitalisierung in der Sozialwirtschaft (vediso) hat erfreulicherweise mittlerweile Zugang bekommen zum Digitalrat der Bundesregierung. Dort war das Thema digitale Teilhabe von Menschen mit Behinderungen noch gar nicht auf dem Schirm. Inzwischen liegt ein Positionspapier von vediso vor, und wir hoffen, dass diese Argumente in der Politischen Diskussion berücksichtigt werden.
Gibt es Leuchtturmprojekte?
An vielen Stellen haben wir bereits Entwicklungsprojekte angestoßen. Drei davon seien hier beispielhaft genannt:
Der Verband vediso hat kürzlich die Online-Plattform mitunsleben.de ins Leben gerufen. Sie soll als erste trägerübergreifende Plattform alle Arten sozialer Hilfen rasch und unbürokratisch auffindbar machen, über gegebenenfalls freie Plätze informieren und zu den Anbietern direkt vermitteln.
Spannend entwickelt sich gerade der Bereich der Sensortechnologie. Wir werden in Kürze die ersten Wohnungen mit Sensorsystemen vermieten können. Dort können Menschen mit Unterstützungsbedarf länger selbstständig leben, denn die Technologie erfasst zum Beispiel Stürze sofort oder registriert Änderungen im Tagesablauf, die auf eine Erkrankung hindeuten können.
Dann gibt es das Forschungsprojekt RABE. Das ist ein intelligenter Rollator, der seinem Benutzer den Weg zeigen kann oder selbst den Weg findet, wenn der Benutzer dazu nicht in der Lage ist. Das könnte besonders für Menschen mit Demenz eine gute Hilfe zur selbstständigen Mobilität sein. Hier sind wir als Praxispartner gemeinsam mit der Hochschule Ravensburg-Weingarten bereits relativ weit in der Entwicklung.
Sind die nötigen Ressourcen vorhanden?
Digitalisierung braucht Investitionen, dessen sind wir uns bewusst. Fördermittel gibt es dafür nur begrenzt, das heißt, wir müssen viele Entwicklungsschritte aus Stiftungsmitteln finanzieren. Das geht nur mit strengen Prioritäten und einem langen Zeithorizont. Warnen möchte ich vor der Annahme, digitale Technik würde langfristig Kosten senken. Daran glauben wir nicht. Die Ausgaben werden nicht geringer. Aber die Qualität wird steigen, die Qualität der Arbeit ebenso wie die Lebensqualität der von uns betreuten Menschen.
Zum Schluss eine persönliche Frage: Wie halten Sie es selbst mit der Digitalisierung? Wann waren Sie zum letzten Mal einen ganzen Tag offline?
Ich gebe zu, ich bin geschäftlich wie privat fast immer online. Ein Tag ohne Netz – das habe ich zum letzten Mal im Urlaub auf einer Schiffsreise erlebt.
Aufbruch in die digitale Zukunft
Tausende Computer in Büros und Wohngruppen sind miteinander vernetzt, immer mehr W-LAN-Hotspots werden eingerichtet, und in den Häusern der Altenhilfe halten elektronische Assistenzsysteme Einzug. Wo ist die Stiftung Liebenau für die digitale Zukunft schon gut aufgestellt, und wo gibt es noch Nachholbedarf?
Direkt an der Schnittstelle in Sachen Digitalisierung sitzt Matthias Schyra, Geschäftsführer der Liebenau Beratung und Unternehmensdienste GmbH (LBU), die die digitale Entwicklung im Stiftungsverbund vorantreibt. Er gibt Auskunft über den aktuellen Stand der Dinge und weiß, an was der Wunsch nach schnellem Internet manchmal scheitert.
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Ja, wie digital ist die Stiftung Liebenau denn eigentlich, Herr Schyra?
„Vernetzt sind wir schon lange“, erklärt der LBU-Geschäftsführer und verweist auf das bereits seit vielen Jahren bestehende IT-Netzwerk zwischen den einzelnen Gesellschaften. Und doch startet die Vernetzung mit der Digitalisierung, die gerade stiftungsweit auf vollen Touren läuft, in eine ganz neue Dimension. Von elektronischen Anwendungen, Kommunikationsplattformen und weiteren digitalen Angeboten und Dienstleistungen profitieren alle Bereiche der Stiftung Liebenau – von der Verwaltung bis hin zu den Pflegekräften vor Ort, zum Beispiel in der Altenhilfe.
Digitale Assistenzsysteme
Bei letzterer spielt das Thema Ambient Assisted Living (AAL) eine immer größere Rolle, also die Nutzung von elektronischen Unterstützungssystemen im Alltag älterer Menschen. Solche innovative Technik findet sich etwa im gerade neueröffneten Haus der Pflege Dr. Albert Moll in Tettnang. Die Möglichkeiten von AAL sind vielfältig: So können entsprechende Sensoren zum Beispiel erkennen, wenn etwas nicht stimmt im Zimmer eines Bewohners. Sie melden sich, wenn ein älterer Mensch entgegen seiner täglichen Routine morgens nicht selbstständig aufsteht. „Oder wenn einer, der für gewöhnlich durchschläft, plötzlich die ganze Nacht unterwegs ist.“
Elektronische Pflegedokumentation
Dient hier die moderne Technik unmittelbar der Sicherheit der betreuten Menschen, tut sich auch rund um die Unterstützung, Betreuung und Pflege von Menschen mit Behinderungen einiges in Sachen Digitalisierung – etwa bei der elektronisch geführten Pflegedokumentation in Liebenau Teilhabe und Kliniken, die den Alltag erleichtert und Zeit spart. Hierbei wird insbesondere auch der Einsatz mobiler Endgeräte eine immer größere Rolle spielen. Ein Grund mehr, warum es in Zukunft auf gute kabellose Netzverbindungen ankommt.
„Für kabelloses Internet braucht es viele Kabel“
Aber wie sieht es in Sachen W-LAN aktuell aus? „Da sind wir auf einem guten Weg“, betont Schyra. Im Berufsbildungswerk in Ravensburg können die dort lebenden Jugendlichen mit ihren Smartphones zum Beispiel schon über das hauseigene Netzwerk online gehen. Und auch sonst nimmt die Stiftung Liebenau in dieser Hinsicht gerade Fahrt auf. In neuen Gebäuden ist die W-LAN-Versorgung ohnehin Standard, die bestehenden Standorte werden Schritt für Schritt nachgerüstet – was ein größerer Aufwand ist, als man vielleicht denkt. „Für kabelloses Internet braucht es erschreckend viele Kabel“, erklärt Schyra. Mit dem Einstöpseln des Routers in der eigenen Wohnung sei eine entsprechende Installation in einer Einrichtung der Stiftung Liebenau nicht zu vergleichen – schon aufgrund der höheren Anforderungen in Sachen Infrastruktur und Sicherheit.
Bandbreite: auf andere angewiesen
Insgesamt ist die Digitalisierung eine große Herausforderung, schließlich wollen im Stiftungsverbund Einrichtungen in rund 100 Standortkommunen an ein möglichst schnelles Internet angeschlossen sein. Dass die Qualität nicht überall gleich ist, liegt nicht an der LBU. „Da sind wir darauf angewiesen, was die IT-Anbieter vor Ort an Bandbreite liefern.“ Und das sei an manchen Standorten ziemlich schwierig. „Vor allem im ländlichen Bereich“ gebe es da noch Nachholbedarf.
Warten auf die Leitungen
Zudem sei es leider auch schon vorgekommen, dass es der Netzversorger nicht rechtzeitig geschafft habe, die Leitungen zu neu gebauten Häusern zu legen. Das Problem: Der Standort wird eröffnet, die Bewohner ziehen ein, aber die Telefone bleiben stumm und die PCs offline. „Wir können uns da leider nicht mehr darauf verlassen, dass das reibungslos klappt“, klagt Schyra. Und was macht man in so einem Fall? Improvisieren! „Unsere eigenen Techniker sind da wirklich sehr kreativ, aber das kostet halt einfach Zeit.“ Dort, wo man selbst den Hut aufhat, geht es schneller. So gibt es in Liebenau schon mehrere Hotspots für ein Gäste-W-LAN, das vom Mitarbeiternetz aber sauber getrennt sein muss. Auch die Verwaltung kann hier mit kabellosen Internetanschlüssen arbeiten: „In den meisten Besprechungsräumen in Liebenau muss keiner seinen Laptop noch irgendwo einstöpseln“, so Schyra.
Vieles steht in den Startlöchern
Apropos Verwaltung: Hier sind die Prozesse auf vielen Ebenen schon ins digitale Zeitalter transferiert – seien es Abläufe bei der Rechnungsstellung oder die Personaleinsatzplanung. Und weitere Entwicklungen stehen in den Startlöchern, zum Beispiel die Installation eines Dokumentationsmanagementsystems. Generell – so Matthias Schyra – stelle sich aber beim Umstieg von analogen auf digitale Lösungen immer die Frage: „Soll der bestehende Ablauf einfach 1:1 in ein elektronisches Format umgewandelt werden, oder muss vielleicht der gesamte Prozess im Zuge der Umstellung auf den Prüfstand?“ So sei zu klären, wie man sich in dem Zusammenhang womöglich effizienter aufstellen könne, etwa indem man Programme ineinander übergreifen lässt und – soweit sinnvoll – getrennte Systeme verbindet.
Rechenzentrum als Herz der IT
Klar ist: Nur ein Teil der digitalen Strategie der Stiftung Liebenau ist sichtbar. „Vieles läuft im Hintergrund“, so LBU-Geschäftsführer Schyra. Zum Beispiel die mächtigen IT-Server, die vor gut einem Jahr mit der LBU von Friedrichshafen nach Liebenau umgezogen sind. „Unser Rechenzentrum entspricht nun unseren eigenen Ansprüchen.“ Rund 200 Server tun dort rund um die Uhr ihren Dienst, größtenteils handelt es sich um sogenannte virtuelle Server, also Softwaresysteme, die auf größeren physikalischen Servergeräten laufen. Und dass sie auch ohne Unterbrechung und störungsfrei laufen, dafür sorgen zum Beispiel redundante Systeme innerhalb der Serverplattform, moderne Brandschutzvorrichtungen und eine eigene ausfallsichere, da gedoppelte Klimaanlage. Ein leistungsfähiges Notstromaggregat gewährleistet die Energiesicherheit. Daten und Anwendungen sind jederzeit geschützt, Stichwort: Redundanz. Das heißt? „Die wichtigsten Systeme sind zweifach vorhanden.“ Wichtige Daten werden mit nur wenigen Sekunden Verzögerung permanent auf ein zweites Serversystem gespiegelt. Selbst bei einem Totalausfall eines Systems geht so gut wie nichts verloren und bleiben die Daten auf dem aktuellen Stand. Zudem gibt es regelmäßige Backups.
Ein Glasfaserring durch Liebenau
Von diesem Rechenzentrum aus führt eine Datenautobahn durch den ganzen Hauptstandort der Stiftung. Hier in Liebenau ist man gerade dabei, einen Glasfaserring zu installieren. Vorteil: Wird das Kabel an einer Stelle doch mal aus Versehen gekappt, etwa durch einen unvorsichtigen Baggereinsatz bei Bauarbeiten, kann der Datenfluss einfach in umgekehrter Richtung weiterlaufen.
Über 2.000 Computer im Netzwerk
Vom Vorstandsbüro bis zur Wohngruppe: Insgesamt stehen 2.200 Computer in den Häusern der Stiftung Liebenau – dienstliche Smartphones nicht mitgezählt. „So sind 5 000 bis 6 000 Mitarbeiter ans Netzwerk angebunden“, rechnet Matthias Schyra vor. Werden die PCs hochgefahren, erscheint seit einiger Zeit auf dem Startbildschirm das zentrale Portal als Intranet für alle Mitarbeiter. Dieses soll zu einer Plattform erweitert werden, um darüber dann zum Beispiel auch bei Projekten gemeinsam an einem Dokument arbeiten zu können. Auch sonst eröffnen sich in der internen Kommunikation neue digitale Kanäle, zum Beispiel mit einer geplanten Unternehmens-App der Liebenau Service. Stichwort: Datenschutz. Matthias Schyra: „Schließlich sollten firmenrelevante Infos nicht über WhatsApp ausgetauscht werden.“
Stiftung Liebenau steigt ins E-Learning ein
Zeitlich flexibel Fortbildungen besuchen und verpflichtende Schulungen absolvieren, ohne in Organisationsstress zu kommen – in der Stiftung Liebenau wird das schon bald online möglich sein. Dank elektronischer Lernmodule.
Vorreiter bei diesem sogenannten „E-Learning“ ist das Berufsbildungswerk (BBW) Adolf Aich in Ravensburg. Dort beschäftigt man sich mit einem Pilotprojekt zum Thema Arbeitsschutz. Dieses und weitere Schulungsmodule sollen dann Schritt für Schritt auf den ganzen Stiftungsverbund ausgeweitet werden. Und auch sonst ist der Lernalltag bei vielen BBW-Azubis schon jetzt ganz schön digital.
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Die angehenden Kaufleute für Büromanagement oder Fachinformatik-Azubis aus dem Berufsbildungswerk der Stiftung Liebenau sind nicht nur von Berufs wegen ziemlich fit in Sachen Digitalisierung. Das BBW ist insbesondere in seinen Ausbildungsbereichen IT und Büro seit einigen Jahren auch ein richtiges Labor für das E-Learning, also das Lernen mit Unterstützung elektronischer Medien. Prüfungsvorbereitung am Smartphone, sich mit anderen Schülern oder Ausbildern online austauschen, Übungsaufgaben elektronisch bearbeiten, Lernfilme anschauen – das ist für Azubis wie Jörn M. längst Alltag in der Ausbildung. Gerade die Visualisierung des Lernstoffs durch Erklärvideos komme ihm sehr entgegen, meint der 30-Jährige: „Ich lerne dadurch viel leichter.“
Schulungsmodule in der Entwicklung
Doch die Fachkräfte in spe aus dem BBW büffeln nicht nur den eigenen Lernstoff mit Hilfe digitaler Kanäle, sie sind auch aktiv beteiligt beim Erstellen von internetbasierten Lern- und Schulungsmodulen. In Zusammenarbeit mit der Akademie Schloss Liebenau ist man gerade dabei, die Basis für digitale Unterweisungen und Fortbildungen zu schaffen. Mitarbeitende aus dem ganzen Stiftungsverbund sollen bald die Möglichkeit haben, Pflichtschulungen zu Themen wie Hygiene, Brandschutz oder Datenschutz online zu absolvieren. Und zwar zeitlich und räumlich flexibel, auf jedem beliebigen Gerät mit Internetverbindung.
Zeitlich und räumlich unabhängig
Die Vorteile: Die Teilnehmenden können sich die Schulung zeitlich individuell einrichten; auf der anderen Seite entfällt der Organisationsaufwand. Dozierende bestellen, Räume buchen, Unterschriften einsammeln, die Teilnahme bescheinigen – das alles wird künftig digital über die Bühne gehen können, wie Jessica Hansler von der Akademie Schloss Liebenau erklärt. Die Vorgesetzten bekommen eine digitale Unterschriftenliste und haben den Überblick, dass auch tatsächlich nun alle Mitarbeitenden erfolgreich geschult sind. Und wenn man dann doch etwas in den Händen halten will oder muss, lässt sich das entsprechende Zertifikat bei Bedarf einfach ausdrucken. Dass das bei den Verantwortlichen und auch den Mitarbeitenden ankommt, da ist sich Jessica Hansler sicher: „Das Thema brennt den Leuten unter den Nägeln. Die wollen das haben.“
Pilotprojekt Arbeitsschutz
Die 24-jährige Hansler – zuvor selbst in der Stiftung Liebenau ausgebildet – ist seit September 2017 feste Mitarbeiterin der Akademie Schloss Liebenau und dort zuständig für Fortbildungen und Programmorganisation. Sie kümmert sich schwerpunktmäßig um das Zukunftsthema E-Learning. Als Pilotprojekt für die digitalen Schulungen gilt das im BBW – in einem ersten Schritt für die dortigen Mitarbeiter und Azubis – entwickelte Lernmodul zum Thema Arbeitsschutz. „Die Erfahrungen aus diesem Projekt werden ausgewertet, um es dann auf andere Gesellschaften im Stiftungsverbund zu übertragen“, berichtet Jessica Hansler.
Im BBW ist das virtuelle Klassenzimmer schon da
Im Berufsbildungswerk hat man in der Ausbildung von Menschen mit besonderem Teilhabebedarf schon viele und durchweg gute Erfahrungen mit E-Learning gemacht. Ja, die Tafel mit Kreide im Berufsschulunterricht gibt es zwar auch dort noch, ebenso Bücher und Arbeitsblätter aus Papier. Und doch passiert vieles schon heute digital. Das virtuelle Klassenzimmer im BBW ist eine digitale Lernplattform namens „Prozubi“, in die sich auch Jörn M. regelmäßig einloggt – von wo aus auch immer, ob vom Arbeitsplatz im BBW, am heimischen PC oder unterwegs auf mobilen Geräten. „Das läuft auch auf dem Smartphone“, sagt BBW-Projektmanager Matthias Friedetzky. Für ihn ist der digitale Lernkanal „der Tageslichtprojektor des 21. Jahrhunderts“.
Elektronische Berichtshefte
„Prozubi“ läuft auf dem Lernmanagementsystem „ILIAS“, über das die Azubis zum Beispiel auch ihre Berichtshefte elektronisch führen. Prüfungsfragen aus vergangenen Jahren stehen als Übungstests online zur Verfügung. Es gibt auf „Prozubi“ eine ganze Reihe von Erklärvideos, zum Beispiel zu den für Jörn M. relevanten Ausbildungsinhalten wie Rechnungsprüfung oder Angebotsvergleich. Und die Azubis können sich sicher sein, dass die Fakten in diesen Videos stimmen. „Das ist natürlich besser, als wenn man sich irgendwelche ungeprüften Tutorials bei YouTube anschaut“, betont Hansler.
Wissensstand per Quiz überprüfen
Die Wissensüberprüfung erfolgt gleich einen Klick weiter in einem Verständnis-Quiz. Schlecht abgeschnitten? Kein Problem, dann schaut man sich den Clip eben nochmal an, bis der Lernstoff sitzt. „Ich finde ‚Prozubi‘ genial“, sagt Jörn M., der sich unter anderem damit gerade auf seine Zwischenprüfung als Kaufmann für Büromanagement vorbereitet. Auch Jessica Hansler ist begeistert und plant den Transfer des Programmes in die kaufmännische Ausbildung der Stiftung Liebenau: „Das ist ein Tool, das ich mir selbst als Azubi auch schon gewünscht hätte.“
Azubis erstellen Inhalte
Ein Tool, das dynamisch ist und übrigens auch von den Azubis selbst aktiv gefüttert wird. So gibt es neben den mitgelieferten „Prozubi“-Erklärvideos auch eigene Filmclips der Azubis – entstanden in der BBW-eigenen digitalen Lernwerkstatt. Als maßgeschneidertes, auf den Einsatz im Berufsbildungswerk individuell angepasstes Programm hat „Prozubi“ vieles schon an Bord. Zudem bietet die digitale Lernplattform reichliche Erweiterungsmöglichkeiten. So können Lehrer jederzeit Lernmaterial hochladen. „Damit hat man zum Beispiel auch noch Zugriff auf Inhalte aus früheren Lehrjahren, falls man zu einem bestimmten Thema noch etwas nachschlagen will“, erklärt Jörn M.
Wachsende Wissensdatenbank
Oder man nutzt die Plattform, um bei Krankheit den versäumten Stoff aus der Berufsschule nachzuholen. Die Wissensdatenbank jedenfalls wächst von Tag zu Tag, nichts verschwindet mehr im (analogen) Papierkorb. „Der Aufwand beim Erstellen der Inhalte ist der gleiche wie früher – aber die Inhalte sind jetzt eben für immer da“, so Friedetzky. Insofern entwickle sich auf diese Weise eine Art „kollektives Gedächtnis“.
Ausweitung kommt
Noch bilden die Fachinformatik- und Büromanagement-Azubis die Speerspitze in Sachen E-Learning im BBW. Aber auch die anderen Berufsbereiche werden nachziehen. Denn viele Themen sind berufsübergreifend für alle gültig: Betrieblicher Arbeitsschutz, Rechte und Pflichten aus dem Ausbildungsvertrag und so weiter: „Das steht sowohl bei den Schreinern als auch bei den IT-lern im Ausbildungsrahmenplan“, so Matthias Friedetzky.
mitunsleben – Start-up aus der Sozialwirtschaft für die Sozialwirtschaft
In Berlin gründete sich am 19. November unter dem Namen „mitunsleben.de“ ein Startup aus 15 sozialen Gesellschaften, darunter auch die Stiftung Liebenau. Das Ziel: Menschen, die Assistenz, Pflege oder Unterstützung benötigen, sollen die am besten für sie passenden Dienstleistungsangebote finden und leicht in Anspruch nehmen können.
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mitunsleben – StartUp macht Hilfe ganz einfach
Die Plattform „mitunsleben“ ist die erste Plattform, die direkt von Leistungserbringern aus der Sozialwirtschaft entwickelt und angeboten wird. Der Vorteil für den Kunden: Es entstehen keine versteckten Zusatzkosten durch einen zusätzlichen Vermittler.
Kooperativ und agil
Cornelia Röper, Forbes 30 under 30 und Geschäftsführerin von mitunsleben erklärt: „Gemeinsam mit verschiedensten Trägern der Sozialwirtschaft eine Plattform zu entwickeln und gleichzeitig agil wie ein Startup sein zu dürfen ist ein richtungsweisender Schritt für die Branche.“ Dr. Markus Nachbaur, Vorstand Stiftung Liebenau, ergänzt: „Kein Sozialunternehmen wird den digitalen Wandel alleine stemmen - das geht nur in Kooperationen.“
Eng am Nutzerinteresse
Für die Gesellschafter von mitunsleben ist klar, dass dieses Angebot näher an das veränderte Online-Nutzungsverhalten von Interessenten und Kunden heranrückt. „Wir arbeiten mit Design-Thinking-Methoden und hören unseren Endnutzern auch beim Aufbau der Plattform schon ganz genau zu. Das spart nicht nur Zeit und Geld, sondern ermöglicht uns vor allem den größtmöglichen Mehrwert zu kreieren, so Röper.
Die Plattform
Die Plattform von mitunsleben wird ein bundesweites Informations- und Vermittlungsportal für soziale und pflegerische Dienstleistungen sein. Der Interessent kann schnell und einfach nach seinen spezifischen Wünschen ein passendes Angebot suchen und mögliche Angebote vergleichen. Die Dienstleister können direkt kontaktiert und nachträglich bewertet werden. Zusätzlich bietet die Plattform eine persönliche Beratung rund um die Themen Pflege und Versorgung an.
Die Plattform ist offen für weitere Anbieter von sozialen Dienstleistungen und wird voraussichtlich ab Mitte 2019 online gehen.
Das Unternehmen
Die mitunsleben GmbH wurde am 19. November durch 15 gemeinnützige Träger gegründet. Geschäftsführerin Cornelia Röper, die gerade von Bill Gates persönlich mit dem Global Goalkeeper Award ausgezeichnet wurde, kennt sich sowohl in der IT-Landschaft, als auch direkt im Aufbau großer sozial orientierter online Plattformen besten aus. Vor mitunsleben hat sie die weltgrößte online Fragen-und-Antworten-Plattform für Geflüchtete aufgebaut.
Die 15 Gesellschafter sind:
- Diako Thüringen gemeinnützige GmbH
- Diakonie Michaelshoven e.V.
- Die Zieglerschen e.V. – Wilhelmsdorfer Werke evangelischer Diakonie
- Evangelische Altenhilfe St. Georgen gemeinnützige GmbH
- Johannes-Diakonie Mosbach
- Johanniter-Unfall-Hilfe e.V
- Karlshöhe Ludwigsburg
- Paulinenpflege Winnenden e.V.
- Samariterstiftung Nürtingen
- Sonnenhof e.V.
- Stephanus-Stiftung
- Stiftung Bruderhaus Diakonie
- Stiftung Evangelisches Diakonissenhaus Berlin Teltow Lehnin
- Stiftung Liebenau
- Verband für Digitalisierung in der Sozialwirtschaft e.V. (vediso)
Die GmbH arbeitet im Sinne des Endnutzers und soll auf der Ebene der Gesellschafter in gemeinnütziger Hand sein und bleiben. Es wird ein gemeinwohlorientierter Ansatz verfolgt, der durch die Ausrichtung des Angebots auf die Kunden und Nutzer erreicht werden soll. Dies ist so auch in der GmbH Satzung festgehalten.
Der Verband
Selbst mitwirken kann man über die Mitgliedschaft im Verband für Digitalisierung in der Sozialwirtschaft (vediso). Der vediso e.V. ist Gesellschafter der mitunsleben GmbH und Interessenvertretung der breiten Sozialwirtschaft. Er umfasst inzwischen über zwanzig Sozialunternehmen sowie Verbände, bringt deren Interessen in die Plattformentwicklung ein und unterstützt die Organisationen dabei, sich selber fit für die Plattform und digitale Entwicklungen zu machen. Dabei ist der vediso offen für alle gemeinnützigen Träger beziehungsweise Sozialunternehmen, die soziale Dienstleistungen für hilfebedürftige Menschen anbieten.
Positionspapier vdiso: "Teilhabe durch Digitalisierung fördern, ein Handlungsaufruf an die Politik."
Hier findet Digitalisierung bereits statt
Soziale Medien nutzen, aber sicher!
Facebook, WhatsApp, Instagram und Co: Wie gehe ich sinnvoll mit den so genannten „sozialen Medien“ um? Wo stecken die Gefahren? Mit einer Fortbildung zu diesen Fragen wurden Menschen mit Unterstützungsbedarf sowie Betreuer und Angehörige angesprochen. Wie brennend die Fragen sind, zeigte die Resonanz: Fast 40 Personen kamen zu der Veranstaltung ins Liebenauer Schloss. Organisiert hatte sie Nils Pasternak von den Ambulanten Diensten der Stiftung Liebenau, in Zusammenarbeit mit dem Arbeitskreis Bildung und Freizeit im Bodenseekreis.
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Kritische Reflexion
„Was macht ihr im Internet?“, war eine der ersten Fragen von Referent Alexander Beer, vom Kreismedienzentrum im Bodenseekreis. „Einkaufen“, lautete eine Antwort. „Machst du das noch klassisch im Internet, oder hast du schon ein Kästchen von Amazon zu Hause?“ Und schon war die lebendige Diskussion zugange. Viele wussten: „Alexa“, die Sprachassistenz, ist gemeint. Eine junge Teilnehmerin meinte, mit „Alexa“ werde man noch bequemer. „Irgendwann kocht sie für mich.“ Dass die Teilnehmer den sozialen Medien auch kritisch gegenüberstehen, zeigte sich immer wieder im Verlauf der Fortbildung. Beer warf noch einen weiteren Aspekt in die Runde: „,Alexa´ muss immer an sein. Man hat in der Wohnung was stehen, das dir den ganzen Tag zuhört.“ Im Übrigen könne man „Alexa“ auch ohne Smart Home nutzen, etwa für Infos wie den Preis einer Pizza oder den Spielstand eines Fußballspiels.
Rasante Entwicklung
Und wie steht es mit WhatsApp? Lediglich vier in der Gruppe nutzen kein WhatsApp. Dabei gibt es den Dienst erst seit 2009. So wie Facebook gehört es zum Unternehmen von Mark Zuckerberg, ebenso wie Instagram. Letzteres war vielen nicht bekannt. Beer gab immer wieder Tipps, etwa für die, die das Handy nachts neben dem Kopfkissen haben. Wer es als Wecker nutzt, solle den Flugmodus einschalten. Dass starker Smartphone-Konsum negative Folgen haben kann, kann inzwischen nachgewiesen werden. In Südkorea, wo weltweit die meisten Geräte genutzt werden, benötigen Kinder immer häufiger eine Brille, weil sie nicht mehr in die Ferne sehen können.
YouTube – das neue Fernsehen
Auf YouTube ist heutzutage alles zu finden. Zur Freude der Fußballfans kann man sogar die WM verfolgen und ist nicht auf ARD und ZDF angewiesen. „Ich höre zum Beispiel gerne Radio“, meinte Beer. Sofort kam das Stichwort „Playlist“. Für Beer zum Beispiel hat Radio hören mehr Überraschungen parat, weil man nicht nur die Musik hört, die man sowieso kennt. „Facebook ist toll! Ich habe Schulkameraden auf der ganzen Welt wieder getroffen“, so Beer. Aber man müsse sich eben gut überlegen, was man reinstellt. Den meisten in der Gruppe ist bewusst, dass man mit dem Posten von Bildern vorsichtig sein muss und wegen der Persönlichkeitsrechte jedes einzelnen nicht alle Bilder ungefragt posten darf. Ob man sich von Facebook wieder abmelden kann, bejahte Beer und erklärte gleich, wie es geht. Die Daten sind auch danach alle gespeichert und die Unternehmen können sie verwenden, zum Beispiel für Werbung, war zu erfahren. Eine Tatsache, die nicht allen bekannt war und hörbar auf Unverständnis stieß.
Was tun bei Schwierigkeiten?
Was kann ich tun, wenn mir jemand droht in WhatsApp? Als erste und einfachste Möglichkeit: „Am besten du rufst denjenigen an und sagst, das mag ich nicht.“ Ein grundsätzlicher Rat von Beer: Redet nett miteinander. Bei ganz schlimmen Drohungen aber hilft nur der Gang zur Polizei. Und, wie ein junger Teilnehmer meinte: „Die echten Freunde gibt es nicht auf Facebook und im Internet.“ Das zeige sich spätestens dann, wenn man richtig Probleme habe.
Fortbildung mehrfach angeboten
Die Fortbildung „Soziale Medien für alle – aber sicher“ wurde an drei verschiedenen Orten im Bodenseekreis angeboten. Die Veranstaltungen fanden rund um das diesjährige inklusive Mittendrin-Fest in Friedrichshafen statt. Sie wurden von Aktion Mensch gefördert.