Und so kam er zu seinem Ehrenamt: Im Jahr 1989 begleitete er auf der Pfeifenorgel im Haus St. Antonius eine Tauffeier. Der damalige Haus-Geistliche meinte danach lapidar: „Du kannst jetzt jeden Sonntag spielen.“ So kam es und so blieb es – bis auf eine kurze Unterbrechung. Auch heute noch schwärmt Dr. Josef Nagel von der Entlohnung durch die Franziskanerinnen von Sießen, die das Altenheim damals leiteten: Nach der Sonntagsmesse gab es ein „dermaßen nett gemachtes Frühstück“ unter anderem mit selbstgebackenem Zopfbrot und gekochtem Ei.
Kannst du das nicht machen?
Aufgewachsen ist er in Ellwangen an der Jagst. Wie ein roter Faden zieht sich die Frage „Kannst du das nicht machen?“ durch seine Erzählungen. Etwa als der Ellwanger Organist nach München zog. Das Klavierspiel hat er interessanterweise von einer der Sießener Ordensschwestern gelernt, die in Ellwangen gewirkt haben. Fortan übernahm er die sonntägliche Begleitung in der Schönenbergkirche. Auch in Essen sprang er während seiner Assistentenzeit an der Uni zeitweilig dort an der Orgel ein und sang in einem Kirchenchor.
„Wenn ich da bin, spiele ich“
Als das Altenheim St. Antonius, inzwischen von der Stiftung Liebenau übernommen, in das neu gebaute Franziskuszentrum umzog, „zog“ er wie selbstverständlich mit. Lediglich ein paar Jahre hat er mit dem Orgelspiel ausgesetzt, als seine Eltern mehr Betreuung und Pflege benötigten. Sie waren es aber auch, die ihn ins Franziskuszentrum zurückbrachten. Sie bezogen in ihren späten Jahren hier gemeinsam ein Doppelzimmer. Dr. Nagel bezog wieder den Sitz hinter der Orgel. „Wenn ich am Sonntag hier bin, spiele ich.“ Es gab bislang nur wenige Ausnahmen.
Musikalische Bandbreite
Dr. Nagel schwärmt auch von den festlichen Auftritten. „Heiligabend gestalten wir schon immer miteinander.“ Mit „immer“ meint er seit dem Einzug ins Franziskuszentrum 1997. Mit „wir“ meint er die Profi-Geigerin Gudrun Schmid und sich. „Wir sind ein gutes Team“, sagt er. Dass es in christlichen Einrichtungen wie dem Franziskuszentrum spirituelle Begleitung gibt, nennt er „einzigartig“. Ansonsten amüsieren ihn auch die ein oder anderen Anekdoten im Haus, wie unlängst, als ihn eine regelmäßige Gottesdienstbesucherin ansprach, die ihn beim Orgelspiel beobachtet hatte: „I hon gar it g´wisst, dass sie so viel Briegel under ihre Fiaß hond, auf die se dauernd dappe müssed.“ Sie meinte die Pedale.
Bild weckt kunstgeschichtliches Interesse
Beruflich schlug er einen völlig anderen Weg ein. Er studierte in Tübingen Mathematik und Physik und promovierte anschließend in Essen. Beruf und Musik kreuzten sich später aber auch am Karl-Maybach-Gymnasium in Friedrichshafen, wo er als stellvertretender Schulleiter tätig war. In der Lehrerband tauschte er die Orgel gegen das Keyboard, um mit seinen Kollegen Rock und Pop aus den 70er-Jahren zu spielen. Während der Corona-Zeit packte ihn die Kunstgeschichte. Auch hier eine Verbindung zum Orgelspiel. In seiner Jugend habe er beim Orgeln in der Schönenbergkirche immer das Hochaltarbild im Blick gehabt, das sein Interesse weckte. Er recherchierte dessen Herkunft, über die bis dato wenig bekannt war. Durch einen Zufall fand er dann das Originalbild in Polen. Er schrieb kurzerhand ein umfassendes Werk über das „wahnsinnig spannende Thema“. Eine von vielen Geschichten, die mit seinem Orgelspiel verknüpft sind.