Frau G. hatte lange Zeit im Elternhaus gelebt, liebevoll umsorgt, beschützt – ja, fast ein wenig zu sehr. Ihre Mutter wachte über sie mit einer Fürsorge, die kaum Raum ließ für eigenes Wachstum, für Entfaltung. Frau G. war ein leiser, angepasster Mensch – nicht, weil sie nicht mehr in sich trug, sondern weil sie es nie hatte lernen können, ihre eigenen Flügel auszubreiten. Die Welt, die sie kannte, war klein, aber sicher.
Doch vor etwa zehn Jahren änderte sich alles. Frau G. bekam einen Platz im Gemeindeintegrierten Wohnen unserer Einrichtung – und mit ihm begann ein neues Kapitel. Ein Aufbruch. Ihre Cousine nannte es „ein Geschenk des Lebens“. Und in der Tat – es war, als hätte Frau G. zum ersten Mal tief durchgeatmet.
Mit jedem Tag gewann sie ein Stück mehr von sich selbst zurück – oder vielleicht: entdeckte sich überhaupt erst neu. Sie wurde selbstbewusster, traute sich, ihre Wünsche auszusprechen – und sie auch zu leben. Ihre Augen begannen zu leuchten, ihr Wesen wurde freier, offener, lebendiger. Sie blühte auf, wie ein Frühling nach einem langen Winter.
Was sie in diesen Jahren erleben durfte, war nicht weniger als eine innere Auferstehung. Ein neues Leben – voller Farbe, voller Licht, voller eigener Töne. Und auch wenn sie nun nicht mehr unter uns ist – diese Wandlung, dieses leise Wunder, wird bleiben. Als Erinnerung. Als Ermutigung. Als Ostergeschichte.
Wenn wir in diesen Tagen Ostern feiern, feiern wir genau das: die Kraft der Wandlung, das Geheimnis des Lebens, das stärker ist als der Tod. Die Auferstehung Jesu ist Gottes Zeichen der Liebe – ein leuchtendes „Ja“ zum Leben, das uns alle umfasst. Und so öffnet Ostern auch für uns immer wieder Türen: hinaus aus Enge, hinein in Weite. Hinaus aus dem, was war – hin zu dem, was möglich ist.
Manuela Gerster, Pastoraler Dienst Stiftung Liebenau